Die Kassen der Stadt Bonn sind leer. Deshalb soll im neuen Haushalt gespart werden – unter anderem an der Förderung des Jugendzeltplatzes. Eine Schließung des Platzes wäre die Folge. Als Bonner Verein, der jedes Jahr sein Hauptangebot auf dem Jugendzeltplatz durchführt, haben wir dazu eine klare Meinung.
Besondere, alternativlose Möglichkeiten auf dem Jugendzeltplatz
Seit 2019 veranstaltet unsere Teckids-Gemeinschaft jedes Jahr die größte Sommerfreizeit für Kinder und Jugendliche im Bereich der digitalen Bildung auf dem Jugendzeltplatz Bonn. Vorher hatte unser Sommerangebot meistens in der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mit einem angeschlossenen Übernachtungsangebot entweder in der Jugendherberge Bonn oder dem Basecamp-Hostel stattgefunden. Diese beiden Optionen werden in der Presse auch als mögliche Alternativen für Jugendgruppen angeführt.
An den vier Tagen unserer Sommerfreizeit Hack'n'Sun nehmen die Kinder und Jugendlichen zwischen 9 und 16 Jahren hauptsächlich wegen der Workshops teil, die tagsüber stattfinden und in denen vorwiegend technische Kompetenzen aus den Bereichen Elektronik, Programmierung und anderen digitalen Themen vermittelt werden. Obwohl dieser Teil der Veranstaltung durchaus auch an einem anderen Ort stattfinden könnte, trifft das auf alle weiteren Programmpunkte nicht zu. Die Umgebung des Jugendzeltplatzes ist für ein "Technik-Camp" außergewöhnlich, schließlich stellt man sich klassischerweise Jugendliche vor Computern in einem Rechnerraum vor. Als Teckids-Gemeinschaft legen wir den größten Wert jedoch auf den Gemeinschaftsaufbau zwischen den Jugendlichen und darauf, dass sie sich so frei und offen wie möglich mit den Themen, die sie interessieren, auseinandersetzen.
Ich verbinde den Jugendzelplatz mit Hack’n’Sun, auf das ich mich jedes Jahr freue. Keine Jugendherberge kann aus meiner Sicht das gleiche Ergebnis wie in der Natur Campen bieten, mit Lagerfeuer und allem.
Lian van Waegeningh (14), langjähriger Teilnehmer und Mitgestalter Hack'n'Sun
Bei unserem Camp auf dem Jugendzeltplatz stellen die Workshops also lediglich einen recht kleinen Aspekt dar. Die Jugendlichen verbringen etwa 5 Stunden am Tag in ihren Workshops; den Rest der Zeit verbringen sie mit gemeinsamem Volleyballspielen, mit Freizeit am Lagerfeuer, der Beteiligung an Vorbereitungen und Hilfstätigkeiten in der Küche und vielem mehr. Mit unserem Umzug auf den Jugendzeltplatz haben wir dabei zahlreiche und beeindruckende Veränderungen im Verhalten der Teilnehmenden beobachtet.
Während vorher, in Basecamp und Jugendherberge, vorwiegend passiv an vorbereiteten Angeboten teilgenommen wurde, werden alle Teilnehmenden auf dem Jugendzeltplatz sehr aktiv in ihrer Tages- und Freizeitgestaltung. Die Auseinandersetzung mit unseren Themen findet weit über die Workshopphasen hinaus statt. Die Kinder, die nachmittags unter Anleitung Programmieren gelernt haben, sitzen abends noch mit Laptop am Lagerfeuer und entwickeln, ganz ohne äußere Vorgaben, eigene Spiele. Dabei bilden sie Teams mit anderen Kindern, die sie erst bei unserer Sommerfreizeit kennengelernt haben. All das geschieht ohne extrinsiche Motivation durch unsere pädagogischen Mitarbeiter*innen, sondern ausschließlich dadurch, dass sich die Kinder in einer offenen, einladenden, motivierenden Umgebung befinden.
Die Kinder und Jugendlichen lernen dabei neben dem Umgang mit Technik auch den in der Natur, und eigenverantwortliches Handeln und verbringen den ganzen Tag gemeinsam mit anderen draußen. So etwas lässt sich durch andere Angebote nicht ersetzen.
Jonathan Weth, Mitglied der AG Veranstaltungsrahmen
Aktiv werden für Eigenverantwortung und Selbstbestimmung
Der kritische und hinterfragende Umgang mit digitalen Werkzeugen ist der Hauptfokus unserer Aktivitäten. Wir halten es für wichtig, dass sich junge Menschen eigenverantwortlich mit Fragen der digitalen Mündigkeit, der informationellen Selbstbestimmung sowie persönlichem Datenschutz auseinandersetzen. Medienpädagog*innen haben dabei in klassischen Formaten kaum Chancen, zu den jungen Menschen durchzudringen, da durch die manipulative Gestaltung großer sozialer Netzwerke und durch die Übermacht von Digitalkonzernen in den Schulen ein großer sozialer Druck hin zu kommerziellen, konsumorientierten Angeboten besteht.
Durch die offene, zur Gemeinschaft einladende Umgebung des Jugendzeltplatzes kommt es bei unseren Veranstaltungen hingegen regelmäßig zu sehr fundierten und ausgiebigen Diskussionen in den Gruppen. Die Impulse, die schon sensibilisierte Jugendliche oder Mitglieder unserer Aktiven-Gemeinschaft geben, führen von selber dazu, dass sich Gesprächsrunden am Lagerfeuer bilden und hier untereinander und mit Expert*innen kritisch und aktiv diskutiert wird.
Der Erfolg hiervon ist messbar: Auch nach unserer Freizeit bleibt die Gemeinschaft zusammen, diskutiert online weiter und berät darüber, wie sich digitale Grundrechte bspw. in der Schule oder anderen Vereinen durch- und umsetzen lassen. Damit ist ein signifikanter Erfolg für Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und letztendlich ein Bewusstsein für die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung entstanden.
Selbstwirksamkeit als wichtiges Erlebnis
Der Jugendzeltplatz bietet demnach unzählige Möglichkeiten und Chancen, die Jugendherbergen oder ähnliche Einrichtungen nicht bieten können. Insbesondere sind die meisten Verhältnisse dort von außen vorgegeben. Starre Räume, von der Jugendherberge als Dienstleistung zubereitete Mahlzeiten, fremde Schlafräume – das alles weckt nicht im Ansatz so viel Selbstwirksamkeit und Freiheitsgefühl wie die Umgebung des Jugendzeltplatzes.
Es ist eine einzigartige Atmosphäre, die bei vielen für Begeisterung sorgt. Spontane Volleyball-Spiele, eine Nachtwanderung durch den Wald oder eine Pause mit einem Buch an der frischen Luft. Alles das macht für mich jede Veranstaltung auf dem Jugendzeltplatz angenehmer als an anderen Orten.
Benedict Suska, langjähriger Teilnehmer und Mitgestalter Hack'n'Sun
Als Pädagogen können wir nicht deutlich genug betonen, welchen Wert eine einladende, gestaltbare Umgebung hat. Alleine schon die Tatsache, dass die meisten Kinder und Jugendlichen auf dem Jugendzeltplatz ihr eigenes Zelt mitbringen und sich dieses, je nach Belieben, mit Freunden oder Geschwistern teilen, macht einen großen Unterschied. Es steht damit ein vertrauter und intimer Rückzugsort zur Verfügung. Ein Jugendherbergszimmer hingegen ist ein fremder, anonymer Aufenthaltsort, den man sich zudem regulär mit mehreren, meist fremden, Kindern teilen muss. Auch die Bindung an durch Fremde eingerichtete "Workshopräume", im Gegensatz zu einer großen, von allen mitgestaltbaren, Fläche, lädt nicht maßgeblich zu einem eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Umgang ein.
Alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen machen Erfahrungen von unschätzbarem Wert, wenn sie eine Veranstaltung auf dem Jugendzeltplatz organisieren und erleben. Das Erleben der Selbstwirksamkeit im freien Gestaltungsraum führt schon am ersten Tag dazu, dass Abläufe – wie z.B. das Spülen von Geschirr, das Entsorgen von Müll, der respektvolle Umgang miteinander und das aktive Einbinden anderer in Aktivitäten – von selber und ohne extrinsische Motivation von Leiter*innen funktionieren. Es ist also sichtbar, welche pädagogischen Auswirkungen die Umgebung hat, und diese Auswirkungen sind stärker als jeder direkte Impuls durch Leiter*innen.
Ganz unabhängig davon, in welchem Kontext und welchem Themengebiet Kinder und Jugendliche Gestaltungsfreiraum, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit erfahren, ist diese Erfahrung immer ein wichtiger Baustein in der Entwicklung junger Menschen auf dem Weg zu Persönlichkeiten, die Verantwortung für sich und andere übernehmen und unsere Gesellschaft bewusst mitgestalten – eine Fähigkeit, die gerade in einer Zeit, in der auch unsere demokratische Grundordnung immer aktiver verteidigt werden muss, unbedingt mit allen Mitteln gefördert werden muss.
Die Schließung des Jugendzeltplatzes würde der Region einen einmaligen und unersetzbaren Ort nehmen, an dem Jugendliche wie nirgendwo sonst Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung ausprobieren und erfahren können.
Wir fordern die Oberbürgermeisterin Frau Dörner sowie den Stadtrat daher auf, andere Möglichkeiten zu prüfen und zu ermöglichen, die Förderung des Jugendzeltplatzes auch im neuen Haushalt aufrechtzuerhalten.