Impulsvortrag: Normalisiert informationelle Selbstbestimmung!

Immer bequemer wird das Leben dank digitaler Weiterentwicklungen (wenn auch oft in zweifelhafter Form). Doch während es immer leichter wird, digitale Angebote zu verbreiten, wird es für de Einzelne immer schwerer, selbstbestimmt zu entscheiden und zu handeln. So steht man, wenn man seine eigenen Daten schützen möchte, immer öfter am Rand und sieht sich Rechtfertigungsdruck oder Ausgrenzung ausgesetzt.

Mit diesem Impulsvortrag möchte ich dafür sensibilisieren, sich selber digital zu verteidigen oder auch als Ally das Verständnis zu verbreiten, dass informationell selbstbestimmt nutzbare Angebote das alte neue Normal werden müssen.

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Wer mich von den Chemnitzer Linux-Tagen oder anderen Konferenzen kennt, der weiß, dass ich diese Veranstaltungen gerne nutze, um einen gewissen Impuls zu geben dazu, dass wir natürlich unser Hackertum, unsere Beschäftigung mit technischen Themen, mit freier Software, mit Open Source, unbedingt auch nutzen sollten, um gesellschaftliche Änderungen herbeizuführen.

Wir erleben mit der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung eine starke Normalisierung davon, dass jede*r Zugang zu Technik hat und vor allem auch, dass vorausgesetzt wird, dass jeder digitale Angebote nutzen möchte. Häufig fokussiere ich mich auf Kinder und Jugendliche, weil ich bei Teckids aktiv bin.

Heute stehe ich aber auch mal ganz persönlich hier, weil ich gerade im letzten Jahr selber eine ganze Reihe negative Erfahrungen gemacht habe, was diese Selbstverständlichkeit angeht, dass man bei jedem digitalen Angebot mitmacht und einverstanden ist. Ich bin betroffen von Digital-Ableismus.

Digital-Ableismus, informationelle Selbstbestimmung - Was soll das eigentlich sein?

Natürlich bin ich ständiger Verfechter des Themas informationeller Selbstbestimmung und digitaler Mündigkeit. Selbstbestimmung, ist etwas, das erstmal überhaupt nichts mit Digitalem zu tun, sondern damit, dass man überhaupt die Möglichkeit bekommt, frei entscheiden zu können, was man möchte und was man nicht möchte – ein ganz analoges, politisches Thema, keine besonders neue Sache. Natürlich immer mit der gebotenen Verantwortung, die dazugehört. Es geht darum, für sich frei entscheiden zu können, über sein Leben frei entscheiden zu können und dabei auch anderen den gleichen Freiraum zu lassen.

Zu Freiheit gibt es eigentlich eine sehr passende Definition auf Wikipedia:

Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können.

Und dieses kleine Detail hier – ohne Zwang – das sollte man sich gut verinnerlichen, denn darum geht es ganz essentiell. Informationelle Selbstbestimmung bedeutet also eigentlich, dass man frei und ohne Zwang darüber entscheiden darf, was mit seinen persönlichen und personenbezogenen Informationen eigentlich passiert.

Die meisten Leute sagen, wenn sie informationelle Selbstbestimmung meinen, häufig Datenschutz. Datenschutz, den kennen wir aus dem Kontext DSGVO, und aus Ausreden wie "der Datenschutz ist daran schuld, dass wir xyz nicht machen dürfen". Wenn irgendwas nicht gemacht werden darf oder irgendwas weiterhin per Fax gemacht werden muss oder nur persönlich oder gar nicht geht, dann ist meistens "der Datenschutz" schuld.

Aber Datenschutz ist eigentlich etwas sehr gutes: Er beantwortet die Frage, wann eigentlich Organisationen, also größere Einrichtungen wie Firmen, Vereine, Behörden, personenbezogene Daten von einzelnen Menschen verarbeiten dürfen. Die Grundregel dafür ist sehr einfach, nämlich: Gar nicht. Es sei denn, es trifft eine von sieben bestimmten Ausnahmen zu. Eine dieser sieben Ausnahmen, und vielleicht sogar die wichtigste, ist: Man darf Daten einer Person verarbeiten, wenn eine Einwilligung vorliegt.

Also, womit haben wir es beim Datenschutz und beim Datenschutzrecht zu tun? Es geht um ein Schutzrecht, das einzelne Menschen gegenüber Organisationen haben. Da Firmen, Behörden, Schulen, usw. meistens eine größere Macht über den einzelnen haben, gibt es Regeln, die dabei vor Missbrauch schützen sollen.

Alles zusammengenommen heißt das also: Wenn ich von jemandem gefragt werde, ob etwas mit meinen Daten gemacht werden darf, dann muss ich diese Entscheidung frei – also ohne Nachteile oder Gefahr für mich – treffen können. Dann ist sie informationell selbstbestimmt.

Weniger frei als gedacht

Ein paar Beispiele dazu, wo man vielleicht nicht so frei ist, wie man sich das auf den ersten Blick vorstellt:

Alle kennen diese Ankreuzkästchen: "Ich bin mit den Nutzungsbedingungen und Datenschutzbestimmungen einverstanden." Das kann ich anklicken, oder eben nicht. Eine einfache Entscheidung, ja oder nein, bei der ich mich doch frei entscheiden kann? Oder doch nicht?

Ein ganz klassisches Beispiel, womit ich natürlich aufgrund meiner Arbeit im pädagogischen Bereich und im Bereich der digitalen Bildung immer wieder zu tun habe, ist der Bereich Schule. Da kommt es ganz häufig vor, dass eine Lehrkraft eine Aufgabe gibt: "Lest mal als Hausaufgabe den Zeitungsartikel über irgendein aktuelles politisches Thema" oder "guckt euch mal dieses Video an." Und wenn die Schüler*innen dann zu Hause sitzen und diese Hausaufgabe machen müssen, dann stehen sie vor so einer Auswahl. Bspw. vor einer Paywall, bei der man nur weiterkommt, wenn man entweder Geld bezahlt oder dem Tracking auf der Nachrichten-Website zustimmt. Ist diese Einwilligung noch freiwillig? Also: Kann ich jetzt hier wirklich sagen: "Nein, ich möchte nicht getrackt werden"? Wenn ich privat, als erwachsener Mensch davor sitze, ist das vielleicht eine noch recht einfache Entscheidung, je nachdem, wie stark mein Interesse an dem Thema ist. Aber wenn ich das als Hausaufgabe bekomme, dann steckt dahinter die schulische Verpflichtung, und vielleicht auch noch Leistungsdruck oder Druck durch die Eltern. Also entscheide ich mich vielleicht lieber für das Tracking als für eine schlechte Note.

Das ist ein ganz klassischer Fall: In der Schule ist meistens keine Freiwilligkeit gegeben, wenn es um Einwilligung zu Datenschutz und Nutzungsbedingungen geht.

Ein anderes Beispiel ist ein Fall, der mich ganz persönlich betroffen hat: Eine Einladung zu einer Aufstellungsversammlung einer politischen Partei. Die Veranstalter*innen haben aus der Corona-Pandemie mitgenommen, dass man Formate auch digital online machen kann. Man muss nicht irgendwo hinfahren, man kann gemütlich vom Sofa aus teilnehmen. Aber dann kommt die Überraschung: In dem Moment, in dem ich der Konferenz beitreten will, stehe ich wieder vor so einem blöden Kasten und mir wird gesagt, dass ich jetzt erstmal in die Nutzungsbedingungen von Zoom einwilligen muss. Eigentlich will ich das nicht. Vielleicht mache ich es aber trotzdem, denn ich habe überall und immer wieder gelernt, dass politische, demokratische Beteiligung unfassbar wichtig ist – und sich rauszuhalten eigentlich keine gute Idee ist, wenn man irgendwo seine Meinung einbringen möchte.

Also gibt es auch hier wieder das Problem: Ich kann mich eigentlich nicht entscheiden, ob ich getrackt werden möchte oder nicht. Die Entscheidung, die ich eigentlich treffen muss, ist: Möchte ich mich demokratisch beteiligen oder nicht? Also auch hier wieder, in dem Sinne, eigentlich keine Freiwilligkeit.

Und als letztes Beispiel noch einer meiner Lieblingsaufreger. Alle Konferenzen und auch Open-Source-Projekte haben mittlerweile Codes of Conduct übernommen oder geschrieben und sich Regeln zum Umgang miteinander gegeben. Das ist eine sehr positive Entwicklung, dass man sich darüber mehr Gedanken macht. Und sehr häufig wird dieser Maßstab "All Creatures Welcome, Be Excellent to Each Other" im digitalen Bereich vergessen. Vor einiger Zeit wollte ich zu einer Konferenz reisen und hatte dafür tatsächlich nicht die finanziellen Mittel, die ich gebraucht hätte. Leider wurde als Tool für die Beantragung aus dem Diversitäts-Budget Google Forms genutzt, mit dem Vermerk: "Wenn Sie dieses Formular abschicken, dann stimmen Sie den Datenschutzbestimmungen von Google zu." Und da frage ich mich, ob ich denn eigentlich immer noch willkommen bin, auch wenn ich eigentlich nicht getrackt werden möchte? Hier stehen nun also Menschen, die finanzielle, medizinische, oder in anderer Weise Hilfe benötigen, vor der Wahl, ob sie auf ihre gleichebrechtigte Teilnahme oder auf ihre informationelle Selbstbestimmung verzichten.

Als tragischer Einzelfall

In manchen Fällen geht es dann noch weiter, und das sind die schlechtesten Fälle. Und auch die, wo ich am meisten dazu einladen möchte, dass ihr so etwas vermeidet: Wenn man nachfragt und darum bittet, doch an einer Aufstellungsversammlung teilnehmen zu dürfen, ohne einen Vertrag mit Zoom einzugehen und freut sich schon auf eine konstruktive Antwort, kann man schon mal enttäuscht werden.

Wir können deine Bedenken verstehen, aber außer dir hat niemand dieses Problem. Deshalb bleiben wir bei unserer Entscheidung, dass man nur per Zoom teilnehmen kann.

Das wird dem Anspruch, dass wir ein Miteinander leben wollen, nicht gerecht. Und das beobachte ich leider mit wachsender Besorgnis, dass das in vielen Communities immer öfter vergessen wird. Auch dieses Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hatetwas mit Gleichberechtigung zu tun, mit Accessibility und dem Zugang zu den Gemeinschaften. Die Gründe , warum man vielleicht die Entscheidung treffen möchte, den Nutzungsbedingungen einer bestimmten Plattform nicht zustimmen zu wollen oder seine persönlichen Informationen nicht an Dritte weiterzugeben, sind vielfältig. Das Wichtigste und, wie ich finde, auch das, was am wenigsten wegdiskutiert werden kann, ist tatsächlich die freie Entscheidung. Es geht hier letztendlich darum, einen Ingriff in die Intimsphäre zuzulassen, wenn ich mich dafür öffne, dass irgendein Unternehmen mich tracken und meine Daten verarbeiten darf. Und diese freie Entscheidung, das nicht zu tun, sollte auch einen sehr hohen Stellenwert haben.

Dann gibt es aber noch Gründe, auf die man vielleicht keinen Einfluss hat. Beispielsweise beim Alter, da sehe ich es immer wieder, dass wir mit einer Gruppe von Teckids zu einer Konferenz fahren wollen oder online teilnehmen wollen. Oft werden wir sogar gezielt eingeladen, weil wir eine diverse Gruppe mit sehr jungen Mitgliedern sind. Und irgendwo steht man immer vor dem Satz: "Sie müssen 16 Jahre alt sein, um diese Bedingungen anzunehmen."

Und Gefährdung wird ganz häufig vergessen. Die Fälle, in denen durch das Weitergeben von personenbezogenen Informationen eine tatsächliche Gefährdung entstanden ist oder entstehen könnte, sind real. Ein dramatisches Beispiel, über das wir aber leider reden müssen: Wenn wir mal ein bisschen darüber nachdenken, was zum Beispiel in einem Land wie der Ukraine mit dort angefallenen personenbezogenen Daten passiert, wenn russische Streitkräfte da jetzt im Krieg Firmen und Behörden in Regionen übernehmen. Wir sehen jetzt, dass diese Fälle nicht konstruiert sind. Datenschützer haben sehr lange vor solchen Fällen gewarnt, dass auch in Ländern, wo wir eigentlich von einer starken Demokratie ausgegangen sind oder von politischen Verhältnissen, in denen eigentlich niemand gefährdet sein sollte, böse Überraschungen passieren können.

Es ist völlig legitim zu sagen, dass wir Leute schützen müssen oder auch akzeptieren, dass Leute sich selber schützen wollen, selbst wenn wir aktuell denken, das ihre privaten Informationen nicht gfährdet sind.

Informationelle Selbstbestimmung bedeutet natürlich auch immer, dass ich mich frei entscheiden darf, meine Informationen preiszugeben und Plattformen zu nutzen. Das ist auch Teil der informationellen Selbstbestimmung – wir sollten es aber eben nicht erwarten und verlangen.

Konkrete Wünsche

Wenn ihr in Communities tätig seid, vielleicht auch nicht in eurem eigenen Tätigkeitsbereich, sondern in Teams um euch herum, wenn ihr Konferenzen organisiert und auch in Source-Projekten tätig seid, nehmt bitte auch Einzelpersonen ernst, die informationell selbstbestimmt handeln wollen. Sagt ihnen nicht: "Dann bleibst du halt draußen." Setzt euch entsprechend da auch in den Teams ein, wenn ihr irgendwo zugehört. Vielleicht lest auch mal, wenn ihr in einer Community aktiv seid, die Nutzungsbedingungen von den Plattformen, die genutzt werden.

Und sagt den Leuten bitte auch nicht: Klickt einfach auf Akzeptieren oder gebt halt Fake-Daten ein. Das ist hier, glaube ich, nicht die Maßgabe, nach der sich das richten sollte.

Wo wollen wir eigentlich hin? Wir wollen eigentlich dahin, dass eben jemand, der sagt: "Ich möchte meine Einwilligung nicht erteilen"", eben nicht ausgegrenzt wird, sondern damit gar nicht besonders auffällt. Dieses Verhalten sollte einfach als normal betrachtet werden. Und deswegen: Wenn ihr mit Kindern und Jugendlichen zu tun habt, dann würde ich mich freuen, wenn ihr helft, diesen Gedanken schon sehr früh in die digitale Bildung und in die politische Bildung in der Schule zu tragen. Sowohl auf technischen Wegen, nämlich halt durch digitale Souveränität und freie Software in Schulen, als auch dadurch, informationelle Selbstbestimmung auch bei Lehrkräften anzusprechen.

Wenn ihr Lehrkräfte seid oder in Jugendprojekten mit jungen Menschen zu tun habt, fragt die Kinder, auch einfach Sachen, z.B. ob von ihnen Fotos gemacht werden sollen. Sammelt nicht nur die Unterschriften von Eltern dazu ein – fragt bitte die Kinder. Wenn ihr selber Kinder habt und jemand fragt euch ob euer Kind fotografiert werden darf, dann sagt nicht einfach "Ja", sondern lieber "Ja, aber haben Sie eigentlich schon mein Kind selber gefragt?" Das wird viel zu selten gemacht, kann ich aus sehr viel Erfahrung sagen.

Titelbild der Aufzeichnung von den Chemnitzer Linux-Tagen
Benutzerbild von Dominik George
    Dominik George